„Sie bekommen durch den Sport eine ganz andere innere Haltung“

Trainerin Derya Abdrabo über Kampfsport, Selbstbewusstsein und starke Frauen

Sportnews > Für Zwischendurch Veröffentlicht am Friday, 03. June 2022

Quelle: privat

Wie wirkt sich Kampfsport auf Frauen aus? Welche Rolle spielt der Sport beim Aufbau von Selbstbewusstsein? Um diese und weitere Fragen beantworten zu können, haben wir uns zum Interview mit einer Kampfschul-Trainerin getroffen, die schon seit Jahren in der Szene aktiv ist.

Seit 2008 ist die leidenschaftliche Sportlerin Derya Abdrabo Teil-Inhaberin, und in erster Linie Trainerin, der Kampfsportschule „Black Scorpions“ in Mannheim. Schon von Kindesbeinen an begeistert sich die Thai-Kickboxerin für den Sport und hat es sogar schon bis zum Sieg in verschiedenen Disziplinen bei einer Europameisterschaft geschafft.

Wir von vereinsleben.de wollten mehr darüber erfahren, wie sich der Kampfsport auf Frauen und Mädchen auswirkt, und woran man das erkennt. Ein Interview mit einer jahrelangen Trainerin, die unter anderem seit bereits über zehn Jahren einen Frauenkurs leitet, wollten wir dabei nicht missen. In unserem Gespräch berichtete uns die zweifache Mutter von ihren Eindrücken, die sich über die Jahre stets erweitert haben. Wie sich der Frauenanteil verändert hat, wie zurückhaltende Mädchen zu selbstsicheren Persönlichkeiten werden und wie ausschlaggebend eine richtig aufgebaute Kampfschule dabei ist.

Das Interview mit Derya Abdrabo

vereinsleben.de: Du hast als Trainerin selbst bestimmt schon sehr viel Erfahrung im Kampfsport. Wie lange beschäftigst du dich schon damit?

Derya Abdrabo: Ich habe im Alter von acht Jahren angefangen, das heißt ich mache das Ganze jetzt schon über 30 Jahre. Meine Mutter hat mich zum Kampfsport gebracht, weil sie damals einfach Angst um mich hatte. Sie wollte, dass ich mich verteidigen kann, wenn ich zum Beispiel alleine zur Schule gegangen bin. Irgendwie bin ich dem Kampfsport dann immer treu geblieben und habe ihn dann auch zu meinem Beruf ausgebaut.

vereinsleben.de: Du bist Teilgründerin eures Studios. Wie lange gibt es die „Black Scorpions“ jetzt schon?

Derya Abdrabo: 2006 hat mein Mann die Schule gegründet. 2008 hat er sich von seinem damaligen Partner getrennt, seitdem führen wir es gemeinsam.

vereinsleben.de: Das heißt, du hast sämtliche Entwicklungen immer direkt vor Ort mitbekommen. Wie ist momentan ungefähr der Männer- und der Frauenanteil unter den Trainierenden?

Derya Abdrabo: Es ist schon fast ausgewogen. Bei den Erwachsenen ist es schon ungefähr bei 50%-50%. Wenn man die Kinder miteinbezieht, würde ich sagen 60% männlich und 40% weiblich.

vereinsleben.de: Würdest du sagen, das hat sich verändert im Laufe der Zeit?

Derya Abdrabo: Es ist immer mehr so, dass die Menschen erkennen, Kampfsport ist auch was für Mädchen. Also nicht mehr dieses klassische Denken: Die Mädchen müssen ins Ballett und die Jungs spielen Fußball. Kampfsport ist inzwischen schon eine Sportart, die gleichermaßen von den Geschlechtern ausgesucht wird.

vereinsleben.de: Also jetzt ist der Frauenanteil größer als vor 15 Jahren?

Derya Abdrabo: Auf jeden Fall. Ich weiß noch, als ich selbst angefangen habe, war ich das einzige Mädchen in der Gruppe. Da war das noch eine Männerdomäne. Heutzutage überhaupt nicht mehr.

Das zweite "Zuhause" von Derya: Hier trainiert sie fast täglich mit ihren verschiedenen Trainingsgruppen (Bild: privat)

vereinsleben.de: Du trainierst auch einen Kurs, der nur für Frauen ist. Seit wann führt ihr diesen?

Derya Abdrabo: Den haben wir jetzt schon seit über 10 Jahren. Das war damals die Idee meines Mannes, da es sowas noch nicht wirklich gab. Vielleicht gab es mal eine Frauengruppe, aber mit einem Mann als Trainer, was irgendwie sinnlos ist, wenn Frauen unter sich trainieren wollen. Der Kurs ist sofort total gut angenommen worden. Er ist immer weiter gewachsen, sodass wir ihn nach ein paar Jahren in Anfänger und Fortgeschrittene gesplittet haben. Jetzt ist er überhaupt nicht mehr wegzudenken.

vereinsleben.de: Gab es damals einen bestimmten Anlass für die Gründung dieses Kurses?

Derya Abdrabo: Es gab immer mal wieder Anfragen von Frauen, ob sie hier als Frau nicht auch alleine trainieren können, weil sie einfach etwas für sich machen wollen und sich dabei unbeobachtet fühlen wollen. Viele Frauen haben das Gefühl, sie werden beim Training von den Männern angeguckt, und fühlen sich dann unwohl. Dann gibt es natürlich auch viele Frauen und Mädchen, die aus religiösen Gründen unter sich trainieren wollen, beziehungsweise gar nicht in der gemischten Gruppe trainieren dürfen. Es waren dann einfach mehrere Faktoren, wegen denen wir dann gesagt haben, ein Frauenkurs macht Sinn.

vereinsleben.de: Gibt es Teilnehmerinnen, die mit der Begründung oder dem Wunsch anfangen, sich selbst verteidigen zu können oder ihr Selbstbewusstsein zu verbessern?

Derya Abdrabo: Nicht jeder sagt das so offen, aber man merkt einer Person schnell an, warum sie da ist. Man merkt bei vielen, dass sie den Sport anfangen, da sie wenig Selbstbewusstsein haben, ohne dass sie das vorher äußern. Durch den Sport sieht man dann die Entwicklung. Die jüngeren Mädchen zum Beispiel sind am Anfang sehr schüchtern, ruhig und kommen gar nicht aus sich raus. Über die Jahre entwickeln sie durch den Sport dann wirklich Selbstbewusstsein.

vereinsleben.de: Woran bemerkst du diese Verbesserung im Selbstbewusstsein der Mädchen?

Derya Abdrabo: Sie haben ein ganz anderes Auftreten. Viele trauen sich am Anfang ja nicht mal zu sagen, wie sie heißen, wenn sie in eine neue Gruppe kommen. Wenn sie dann länger dabei sind, nehmen sie die neuen Mädels auf, erklären ihnen alles und entwickeln einfach Selbstvertrauen. Sie haben eine ganz andere innere Haltung.

Auch während der Schwangerschaft kam der Kampfsport bei Derya nicht zu kurz (Bild: privat)

vereinsleben.de: Wie lange muss man aktiv dabeibleiben, um nennenswerte Fähigkeiten zu erlangen? Damit man sich zum Beispiel im Ernstfall verteidigen kann?

Derya Abdrabo: Ich würde sagen, auf jeden Fall ein gutes Jahr, um die Basics zu können, eine Kondition aufzubauen und einfach den Körper zu trainieren. Aber natürlich ist da jeder anders veranlagt, deshalb mag ich so pauschale Angaben eigentlich nicht. Bei manchen sieht man schon nach ein paar Wochen Erfolge, bei anderen dauert es einfach länger.

vereinsleben.de: Deckt sich das mit der Veränderung im Selbstbewusstsein?

Derya Abdrabo: Ja, auf jeden Fall.

vereinsleben.de: Ziehen die meisten das durch, oder gibt es auch viele, die „zu früh“ wieder aussteigen?

Derya Abdrabo: Nein, gar nicht. Die Mitgliederinnen aus dem Frauenkurs, die am längsten dabei sind, haben dieses Jahr zehnjähriges. Für sie ist der Kampfsport ein fester Bestandteil im Leben. Anfang 20 sind sie dazugekommen und werden jetzt 30 Jahre alt. Das ist eine Zeitspanne im Leben, in der sich viel Entwicklung abspielt. Aber dass jemand unter einem Jahr da ist, haben wir eigentlich gar nicht.

vereinsleben.de: Denkst du, dass sich Frauen im Kampfsport wegen dem überwiegenden Männeranteil fehl am Platz oder diskriminiert fühlen könnten?

Derya Abdrabo: Ich glaube, das ist immer am Anfang so die Hemmschwelle. Aber wenn eine Kampfsportschule richtig aufgebaut ist, und man neue Leute gut aufnimmt, ist das gar kein Problem. Über unseren Frauenkurs kommen viele Frauen rein, aber viele entscheiden sich dann später dazu ins gemischte Training zu gehen, oder beide in Anspruch zu nehmen. Im Frauenkurs erlangen sie ihre Selbstsicherheit und merken „ich kann auch was“. Dann gehen sie in den gemischten Kurs über und können locker mithalten. 

vereinsleben.de: Wie oft findet der Frauenkurs statt?

Derya Abdrabo: Das Kickboxen ist vier Mal in der Woche, zwei Mal für die Anfänger und zwei Mal für Fortgeschrittene. Zusätzlich gibt es zwei Mal die Woche ein HIT-Training. Also insgesamt haben wir sechs Frauenkurse die Woche.

vereinsleben.de: Was würdest du jungen Frauen raten, die Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein haben? Könnte Kampfsport die Lösung dafür sein?

Derya Abdrabo: Auf jeden Fall. Generell Sport in einer Gemeinschaft, wo man mit anderen Menschen zusammenkommt, ist immer gut, um an seinem eigenen Ich zu arbeiten.

vereinsleben.de: Wie könnte man Frauen dazu bewegen, Kampfsport auszuprobieren?

Derya Abdrabo: Wir machen immer mal wieder Werbung, in der man die Vielfalt unseres Studios sieht. Wir machen zum Beispiel ab und zu einen kleinen Trailer, in dem man sieht, dass viele Frauen zusammen trainieren. Egal ob dick, dünn oder mit welcher Herkunft. Man sieht, dass es ein geschützter Raum ist und man sich einfach ausprobieren kann. Das spricht dann jeden an und man erkennt: Ich kann das auch. Bei vielen ist es einfach Kopfsache. Manchmal muss mich sich zu Anfang nur ein bisschen überwinden, dann kann es eigentlich nur gut werden.

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