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„Ein stickiger Kellerraum in einer zwielichtigen Gasse mit einem disziplinarischen Boxtrainer mittleren Alters. Wenn ich Glück habe, bin ich mal nicht das einzige Mädchen heute. Dort soll ich mehr Selbstbewusstsein gewinnen?“ Das ist wohl das, was viele junge Mädchen im Kopf haben, wenn ihnen gesagt wird, sie sollen doch mal Kampfsport ausprobieren.
So sehen mit Sicherheit auch noch einige Studios aus, aber lange nicht mehr alle, wie ich während meiner Recherche selbst festgestellt habe. In Mannheim gibt es beispielsweise die Kampfsportschule „Black Scorpions“. Derya Abdrabo, Trainerin und Teilgründerin, empfing mich dort in einem modernen Gebäude. Viel Licht durch die zahlreichen Fenster, junge und motivierte Mitarbeiter. Keine Spur von altem Schweißgeruch, beengten Räumen oder befremdlich wirkenden alten Männern im Unterhemd.
Im Gespräch erklärt sie mir, wie der Kampfsport Frauen verändern kann, und andersherum.
Derya hat selbst jahrzehntelange Erfahrung in verschiedenen Richtungen, wie zum Beispiel Muay Thai und Kickboxen. Insbesondere als Trainerin hat sie natürlich die beste Einsicht über verschiedene Entwicklungen. Sowohl im Studio allgemein, als auch bei den einzelnen Schülerinnen und Schülern.
Seit die Schule 2006 gegründet wurde, sei der Frauenanteil deutlich gestiegen: „Es ist schon fast ausgewogen. Bei den Erwachsenen sind wir ungefähr bei 50/50 Prozent. Wenn man die Kinder miteinbezieht, würde ich sagen 60 Prozent männlich und 40 Prozent weiblich.“
Es gibt auch schon seit über 10 Jahren einen reinen Kurs für Frauen. Geleitet wird dieser natürlich von Derya: „Der Kurs ist sofort total gut angenommen worden. Er ist immer weiter gewachsen, sodass wir ihn nach ein paar Jahren in Anfänger und Fortgeschrittene gesplittet haben. Sechs Mal die Woche steht der Frauenkurs fest im Programm und ist inzwischen überhaupt nicht mehr wegzudenken.“
Bevor er etabliert wurde, gab es sehr viele Nachfragen, ob man hier im Studio als Frau nicht auch unter sich trainieren könne. Sei es, weil man sich nicht beobachtet fühlen will, oder zum Beispiel auch aus religiösen Gründen. Inzwischen passiert es nicht selten, dass jemand im Frauenkurs einsteigt, und später ins gemischte Training übergeht, berichtet Derya. In der Gruppe unter sich bauen die meisten erstmal ihr Selbstbewusstsein auf, bevor sie merken, dass sie genauso bei den anderen mithalten können.
Es fällt der Trainerin nicht schwer, die Veränderung im Selbstbewusstsein nach einer gewissen Zeit zu erkennen, vor allem bei den jüngeren Mädchen: „Viele sind am Anfang so schüchtern, dass sie sich nicht mal trauen zu sagen, wie sie heißen, wenn sie in eine neue Gruppe kommen. Wenn sie dann länger dabei sind, nehmen sie die neuen Mädels auf, erklären ihnen alles und entwickeln einfach Selbstvertrauen. Sie haben ein ganz anderes Auftreten und eine komplett neue innere Haltung.“
Doch woran liegt das? Was macht der Kampfsport mit uns, dass wir uns wohler in unserer Haut fühlen und selbstsicherer sind?
Ein Grund ist sicherlich die physische Veränderung – sprich das Aussehen – die man nach einer Weile an sich feststellen kann. Gerade wenn man ein Ziel hat und sieht, dass die ganze Anstrengung etwas bringt, ist das natürlich ein gutes Gefühl.
Das trifft allerdings größtenteils nur auf die erwachsenen, beziehungsweise heranwachsenden Sportlerinnen zu. Doch diese Schübe des Selbstbewusstseins sind natürlich auch bei Kindern festzustellen. Und die gewinnen ihre Selbstsicherheit nicht aufgrund von äußerlichen Veränderungen.
Der zentrale Grund sind also nicht nur straffe Arme, oder das lang ersehnte Sixpack. Sondern etwas viel Allgemeineres: das Gefühl von Erfolg. Durch das Training wird man jedes Mal aufs Neue an seine Grenzen gebracht und wächst über sich hinaus. Man schafft Dinge, die man letztes Mal vielleicht nicht geschafft hat. Realisiert, zu was man in der Lage ist und malt sich aus, was man nach dem nächsten Mal dann kann.
Gerade beim Kampfsport wird man realitätsnahen Stresssituationen ausgesetzt, in denen man sich normalerweise nicht wiederfinden möchte. Diese dann zu meistern und sich ein Stück weit sicherer fühlen zu können, weckt ein Erfolgserlebnis nach dem anderen.
Diese Theorie bestätigte mir auch die Profi-Kampfsportlerin und Journalistin Julia Dorny, der ich zu dem Thema einige Fragen stellen durfte. Seit ihrem siebten Lebensjahr ist sie Feuer und Flamme für den Kampfsport. Inzwischen ist die gebürtige Berlinerin mehrfache Welt- und Europameisterin im Judo, MMA und Sumo-Ringen.
Im Gespräch berichtet sie mir, dass die ständigen Erfolgserlebnisse, die einem der Sport gibt, wohl immer noch ihre größte Motivation sind. Dabei geht es nicht nur darum, jedes Match zu gewinnen, oder diejenige zu sein, deren Arm nach dem Kampf nach oben gerissen wird. Es sind vor allem die Erfolge, die man in sich selbst wahrnimmt.
Die körperliche Ertüchtigung, die mit der sportlichen Betätigung einhergeht, und das Gefühl, jedes Mal wieder ein bisschen mehr über sich hinauszuwachsen. „Es ist einfach ein schönes Gefühl zu wissen, dass man eine Sache gut kann.“, erklärt sie mir. „Vor allem, wenn man diese Sache mit voller Passion macht.“
Drastisch gesagt, sei es wie eine Art „Sucht“ mit etwas Erfolg zu haben, in das man viel Zeit und Energie investiert. Gerade beim Sport ist das sehr naheliegend, da der Körper durch ihn das Glückshormon Serotonin vermehrt ausschüttet. Diese Mischung aus Glück und Erfolg ist also nahezu eine Garantie für einen Boost des Selbstbewusstseins.
Julia stellt aber auch klar, dass man im Sport nicht nur von Erfolg zu Erfolg springt. Niederlagen und Enttäuschungen gehören genauso dazu, auch bei ihr. So wie im Leben an sich, gibt es neben den Ups auch Downs, die einen runterziehen können. Doch auch diese empfindet die Sportlerin als wichtig und fühlt sich dadurch im Endeffekt noch mehr motiviert dranzubleiben und weiterzumachen: „Denn nur dann kann man wirklich wertschätzen, wie schön es ist, in seiner Leidenschaft erfolgreich zu sein.“
Das Selbstbewusstsein, das die Mixed-Martial-Arts-Kämpferin in sich trägt, ist gut zu erkennen. Auf meine Frage, ob sie sich durch ihre Trainingserfahrung und ihre daraus resultierende Einstellung, sicherer fühlt, wenn sie zum Beispiel nachts alleine nach Hause läuft, antwortet sie trocken: „Ja, I know what I’m capable of.“, was übersetzt bedeutet: „Ja, ich weiß, wozu ich imstande bin.“
Glücklicherweise kam es bisher nie dazu, dass sie sich in solch einer Situation ernsthaft verteidigen musste. Sie ist der Überzeugung, dass dies viel mit ihrem Auftreten zu tun hat: „Brust raus, Bauch rein, Schultern stark machen und mit Selbstbewusstsein auftreten.“ Auch wenn sie weiß, dass sie bestimmte Techniken und Fertigkeiten draufhat, will sie in solchen Situationen in erster Linie mit Körpersprache und Ausstrahlung stark sein.
Egal ob MMA, Muay Thai, Kickboxen oder Judo – viele haben immer noch das alte Klischee im Kopf: Kampfsport ist Männersport.
Dabei sollte die Kunst der Selbstverteidigung gerade für Frauen eine wichtigere Rolle spielen. Ganz abgesehen davon, dass es eine spannende sportliche Betätigung und ein interessantes Hobby darstellt, könnte Kampfsport dem ein oder anderen Mädchen das Leben retten – im übertragenen Sinne oder wortwörtlich.
Erst seit 1994 ist es Frauen vom Deutschen Boxsport-Verband (DVB) erlaubt, an offiziellen Wettkämpfen teilzunehmen, und das auch nur nachdem die Kickboxerin Ulrike Heitmüller darauf beharrte und einen offiziellen Antrag stellte.
Doch glücklicherweise brachte die Zeit und der Feminismus Veränderung mit sich. Das Klischee, dass Frauen nichts im Boxring zu suchen haben, findet sich wohl überwiegend in den Köpfen älterer Generationen wieder. Mehr und mehr Kampfsportstudios bieten Frauenkurse an. Auch Angebote für Selbstverteidigungskurse für Frauen sind schnell gefunden und immer mehr junge Mädchen wagen sich an den Sport heran.
Eine Statistik zur Mitgliederentwicklung im DBV von 2008 bis 2018 des Deutschen Olympischen Sportbunds zeigt, dass der Zuwachs von Mädchen im Laufe der Jahre stetig steigt. Vor allem in den letzten Jahren. Im Jahr 2017 wies die Statistik im Altersbereich von 19 bis 26-jährigen Frauen noch 3.153 Boxerinnen aus. Ein Jahr später waren es bereits 5.638.
Auch Derya, die Trainerin aus dem Mannheimer Studio, konnte mir ähnliches berichten: „Als ich selbst angefangen habe, war ich das einzige Mädchen in der Gruppe. Da war das noch eine Männerdomäne. Heutzutage überhaupt nicht mehr.“ Ihr fällt auf, dass das Denken der Menschen immer mehr umschwenkt. „Es gibt kaum noch dieses klassische Denken: Die Mädchen müssen ins Ballett und die Jungs spielen Fußball. Kampfsport ist inzwischen schon eine Sportart, die gleichermaßen von den Geschlechtern ausgesucht wird.“
Es ist nichts Neues, wie wichtig es heutzutage ist, sich als Frau stark zu machen, sich selbst verteidigen und Widerstand leisten zu können. Meine Interviewpartnerin Julia hat das so von klein auf gelernt und sich mittlerweile international im Kampfsport einen Namen gemacht.
Ich habe sie gefragt, wie sie sich, aufgrund des Klischees Kampfsport sei Männersport, als Frau in der Szene fühlt. Eine bessere Antwort hätte sie nicht geben können: „Ich fühl‘ mich super. Ich hab‘ Spaß.“ Sie fühlt sich wohl in ihrer Rolle und ist stolz, dass sie dem nachgeht, wofür sie brennt und was sie gut kann. Egal wer da etwas drüber zu sagen hat.
Sie erzählt, dass sie sich auch schon manchmal dumme Sprüche anhören musste, wie „Was bist du denn für ‘ne Frau? Viel zu maskulin und dann fährst du auch noch Motorrad und stehst auf Star Wars!“ Solchen Kommentaren steht sie nur mit einem Lächeln gegenüber. Sie sagt sogar, sie findet es toll, wenn Leute Vorurteile haben, dich in eine Schublade stecken und dich unterschätzen. Denn das sind dann die Menschen, die von dir überrascht werden und aus ihrem klischeebehafteten Rollenbildern wachgerüttelt werden können.
Am Ende unseres Gesprächs gibt mir die Podcasterin noch ein Paar wertvolle Worte mit auf den Weg: „Das Wichtigste ist es, sich so zu akzeptieren wie man ist und zu sich selbst zu stehen. Man muss lernen, einfach mal darauf zu scheißen, was andere denken und das zu machen, was für einen selbst richtig ist. Es gibt nur eine Fahrkarte im Leben, also nutze sie sinnvoll.“
Im Endeffekt muss man keine Profikampfsportlerin wie Julia Dorny werden wollen, um das Ganze einfach mal auszuprobieren. Es tut nicht nur dem Körper gut, sondern auch dem Geist. Egal wie klein man anfängt, oder welche Ziele man sich dabei setzt. Jeder wird früher oder später zu den Erfolgserlebnissen kommen, die der Sport verspricht. Dieser Erfolg stärkt das Selbstbewusstsein und erschafft ein Selbstwertgefühl, von dem man überall im Leben Gebrauch macht.
Auch wenn das bedeutet, dass man den Mut aufbringen muss durch die zwielichtige Gasse zu gehen, das stickige Boxstudio in Erwartung, aber dann von einem sympathischen Team und einer charmanten Trainerin in einem geschützten Raum aufgenommen wird.
In den Gesprächen mit Derya und Julia kam deutlich hervor, dass Frauen und Kampfsport das perfekte Match sind. Egal wann oder wo man einsteigt – einem Kick für das Selbstbewusstsein, sollte jede eine Chance geben.
Zum ausführlichen Interview mit Derya Abdrabo
Zum ausführlichen Interview mit Julia Dorny