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Julia Dorny ist Welt- und Europameisterin im MMA und Kämpferin in der 1. Judo-Bundesliga und in der Nationalmannschaft. Auch im Sumo-Ringen ist sie sehr erfolgreich für das deutsche Team. Seit ihrem siebten Lebensjahr ist sie Feuer und Flamme für den Kampfsport, der aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Dazu ist sie ebenfalls Journalistin und betreibt ihren eigenen Podcast: „Women Hit Harder“.
Im Rahmen einer Recherche haben wir uns intensiv mit dem Thema Frauen und Kampfsport auseinandergesetzt und wollten dabei auf ein Interview mit einer Expertin wie Julia auf keinen Fall verzichten. In unserem Gespräch durften wir mehr darüber erfahren, was der Kampfsport mit dem Selbstbewusstsein machen kann und wieso er das tut. Dazu berichtet Julia über Hochs und Tiefs im Leben, wie sie klischeehaften Rollenbildern entgegentritt und wie man lernt, zu sich selbst zu stehen.
vereinsleben.de: Wie lange beschäftigst du dich schon mit Kampfsport und wie hast du damit angefangen? Welche verschiedenen Richtungen übst du aus?
Julia Dorny: Bereits im Alter von sieben Jahren habe ich mit Judo angefangen. Dementsprechend ist der Kampfsport schon sehr lange Teil meines Lebens. Über viele Jahre gab es für mich nur Judo. Ich war auf der Sportschule, in der Nationalmannschaft und auch erfolgreich für Deutschland im Einsatz. Im Jahr 2015 habe ich dann das erste Mal MMA gekämpft. Das fand ich wirklich aufregend, vielseitig und auch sehr schön. Dort bin ich dann irgendwie hängen geblieben, habe aber parallel immer noch Judo gekämpft. 2016 habe ich durch ein kleines Experiment mit meinem ehemaligen Trainer Rainer Bunk mit dem Sumo-Ringen begonnen und auch sehr erfolgreich Deutschland repräsentiert. Etwas später musste ich mich dann entscheiden auf welche Richtung ich mich fokussiere und habe mich für MMA entschieden. Im Laufe meiner MMA-Karriere bin ich dann in Kontakt mit vielen Sportlern aus anderen Kampfsportarten gekommen und konnte so meinen Eindruck noch mehr erweitern.
vereinsleben.de: Was hat dich zu Anfang dazu gebracht?
Julia Dorny: Gesprochen aus der Sicht meiner Mutter: Das Kind hat viel Energie. Dazu ist das Training gut für die Schulung der Bewegung und für das Selbstbewusstsein. Zu dem Zeitpunkt wohnten wir in Hoppegarten bei Berlin. Damals gab es nicht so viele Möglichkeiten, doch Judo hatte dort einen sehr guten Standpunkt, nämlich „Dynamo Hoppegarten“. Dort bin ich immer hingegangen und war von Anfang an Feuer und Flamme. Ich habe schnell gemerkt, wie schön und spannend es ist, dort mit so vielen guten Leuten zu trainieren und wie viele Werte es mir vermittelt. Ich habe dort so viel über den Sport und das Leben an sich gelernt, dass ich einfach dabeibleiben musste.
vereinsleben.de: Gibt es inzwischen auch andere Motivationen?
Julia Dorny: Mein Energielevel ist immer noch sehr hoch und ich liebe die körperliche Ertüchtigung. Vor allem das Gefühl, wie man jedes Mal über sich hinauswächst. Aber natürlich ist es auch schön zu wissen, dass man etwas gut kann. Für einen Sportler, der seine Sache mit voller Passion und Energie macht, gibt es nichts Schöneres als zu gewinnen. Drastisch gesagt, ist es wie eine Art Sucht, mit dem was man gerne tut, erfolgreich zu sein. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich es nicht genieße, wenn mein Arm nach dem Kampf hochgerissen wird. Das motiviert einen maximal, doch genauso gehören Niederlagen dazu. Man muss auch lernen, mit Misserfolgen umzugehen. Egal ob es dabei um den Sport geht, oder zum Beispiel um den Beruf. Das ist ein ganz wichtiger Teil, denn nur dann kann man wirklich wertschätzen, wie schön es ist erfolgreich zu sein.
vereinsleben.de: Hat das Training etwas an deinem Selbstbewusstsein verändert oder es geprägt?
Julia Dorny: Das kann ich dir schlecht mit ja oder nein beantworten, da das Leben ja nie gerade verläuft. Es verläuft wie in Kurven: Mal ziehen sie einen nach oben, mal nach unten. Natürlich macht es was mit einem, wenn man erfolgreich mit etwas ist. Aber auch wenn man in ein Tief gerät, ist es wichtig sich durchzubeißen und weiterzumachen. So eine Leidenschaft kann einen stark machen und dazu motivieren dranzubleiben. Auch wenn sie genau das ist, was einen runterzieht, zum Beispiel durch eine Niederlage im Kampf. Ich glaube, das hat auch viel mit einem selbst zu tun. Mit der eigenen Einstellung zum Leben. Ich denke, man zieht auf jeden Fall immer etwas aus solchen Phasen.
vereinsleben.de: Fühlst du dich aufgrund deines sportlichen Hintergrunds sicherer, wenn du zum Beispiel nachts alleine nach Hause läufst?
Julia Dorny: Ja, i know what I’m capable of. Bedeutet, ich weiß schon ganz genau, was ich kann. Natürlich habe ich in solchen Situationen ein unangenehmes Gefühl, trotz meines ganzen Skill-Sets. Dann denke ich mir einfach: Brust raus, Bauch rein, Schultern stark machen. Einfach mit einem gewissen Selbstbewusstsein auftreten. Ich weiß noch, als ich jünger war, gab es bei der Straßenbahnhaltestelle immer eine lange dunkle Passage. Da hatte ich immer schon meinen Schlüssel so in meiner Hand, dass ich mich im Zweifel hätte verteidigen können. Das ist zum Glück nie passiert, aber ich wusste schon, dass ich neben dem Schlüssel, mich selbst als Waffe hatte. Ich glaube, dass deswegen nie etwas passiert ist, da mein Gegenüber meine Körpersprache erkennt. Man kann auch nur mit seiner Ausstrahlung stark sein.
vereinsleben.de: Was hat dir der Kampfsport sonst gebracht? Gibt es noch andere Vorteile oder gar Nachteile?
Julia Dorny: Nachteile bringt es für mich eigentlich überhaupt nicht. Auch wenn es manchmal eine gewisse Entbehrung abverlangt. Wenn sich zum Beispiel Freunde abends mit mir treffen wollen, um etwas trinken oder essen zu gehen, oder feiern zu gehen, kann ich nicht immer dabei sein. Entweder das Training geht länger, oder ich brauche genug Schlaf, oder ich bin in einer Wettkampfphase auf Diät und muss verzichten. Viele sagen dann, ich verzichte damit auf Lebensqualität, aber für mich ist das einfach part of the game. Ich nehme das gerne in Kauf, um erfolgreich zu sein.
vereinsleben.de: Wie fühlst du dich als Frau in der Kampfsportszene? Das Klischee sagt, es sei ein Männersport. Wie würdest du das beurteilen?
Julia Dorny: Ich fühle mich super, ich hab‘ Spaß. Ich finde es total toll, wenn Leute Vorurteile haben, dich in eine Schublade stecken und dich unterschätzen – und dann überrascht werden. Ich habe mittlerweile gelernt, damit umzugehen. Ich bin mit meiner Rolle total d’accord. Natürlich habe ich schonmal Sprüche gehört wie: „Was bist du denn für ‘ne Frau? Viel zu maskulin und dann fährst du auch noch Motorrad und stehst auf Star Wars!“ Sowas stehe ich dann einfach mit einem Lächeln gegenüber, und denke mir meinen Teil.
vereinsleben.de: Was würdest du jungen Frauen raten, die Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein haben? Ist Kampfsport die Lösung dafür?
Julia Dorny: Ich glaube das grundsätzliche Ding mit dem Selbstbewusstsein ist, dass wir sehr von externen Bildern geprägt sind. Wir gucken auf ein Magazincover und denken: „Wow, sie, beziehungsweise er, sieht ja so perfekt aus. Warum sehe ich nicht so aus?“ Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man mit sich im Reinen ist. Egal wie man aussieht. Dass man sich als Wesen akzeptiert, mit Körper, Geist und Seele und allem was dazu gehört. Das ist gerade das Schöne am Sport: Er ist sehr körperlich. Man spürt sich und merkt seine eigenen Grenzen. Man fühlt sich einfach total gut. Man achtet sehr auf sich, auch was zum Beispiel Ernährung und Alkoholkonsum angeht, und fühlt sich wohl in seinem Körper. Ich habe gelernt die kleinen Dinge des Lebens wertzuschätzen. Jede Sache, die einem das Gefühl gibt, man ist erfolgreich, kann einem bei geringem Selbstbewusstsein helfen. Ein guter Weg der Selbstreflektion wäre zum Beispiel aufzuschreiben, warum man sich schwach oder klein fühlt. Warum man Angst hat, was das Problem ist und warum man sich so fühlt. Jeder heranwachsende Mensch steht vor solchen Problemen und Herausforderungen. Genau das als Challenge zu akzeptieren, ist etwas Spannendes.
vereinsleben.de: Kann man so eine Veränderung im Selbstbewusstsein durch Kampfsport erst erleben, wenn man lange dabei ist und richtige Erfolge feststellt, oder schon früher?
Julia Dorny: Ich glaube, das muss jeder für sich selbst herausfinden. Manche gehen das erste Mal zum Training und sind überglücklich, dass sie sich getraut haben und über sich hinausgewachsen sind. Anderen reicht das noch nicht und erfahren erst einen Unterschied, wenn sie öfter da waren. Für mich ist es jedes Mal aufs Neue das körperliche Gefühl, das über sich hinauswachsen, das mich mich gut fühlen lässt.
vereinsleben.de: Wie könnte man (junge) Frauen dazu bewegen, Kampfsport auszuprobieren, wenn sie sich vielleicht nicht trauen?
Julia Dorny: Willst du meine ganz ehrliche Antwort? Einfach mal darauf scheißen, was andere denken und das machen, was für einen selbst richtig ist. Stehe zu dir selbst und zu dem, was du gerne tust und wer du bist. Man kann es sowieso nie jedem recht machen. Es gibt einen schönen Spruch: „Es gibt nur eine Fahrkarte im Leben, also nutze sie sinnvoll.“