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Inge Helten bricht einen Weltrekord und holt zwei Olympische Medaillen. Trotzdem ist die in Westum geborene Leichtathletin immer im Schatten ihrer Freundin und Teamkollegin Annegret Richter geblieben. Zusammen waren die Sprinterinnen Teil einer goldenen Generation, die die Kurzstrecken in den 70er-Jahren dominiert hat.
Am 13. Juni 1976 war das Rampenlicht der Leichtathletikszene ganz allein auf Inge Helten gerichtet. Dabei waren die Umstände eigentlich recht unspektakulär: Bei einem Sportfest in Fürth-Dambach wollte sich die damals 25-jährige Sprinterin auf ihre Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Montreal vorbereiten. Bei den ersten Vorläufen der 100 Meter-Konkurrenz waren nicht alle Besucher auf ihren Plätzen und die Stadionsprecher noch nicht bei vollster Konzentration. Doch der Wind wehte günstig und die Bahn galt als eine der schnellsten in Deutschland. So gelang Helten, die sich rechtzeitig vor Olympia in der Form ihres Lebens befand, ein Traumlauf. Mit einer Zeit von 11,04 Sekunden unterbot sie den Weltrekord von Renate Stecher. Plötzlich stand sie nicht nur in den Geschichtsbüchern der Leichtathletik, sondern hatte auch einen Favoritenstatus für die Olympischen Spiele inne.
Spätberufen in die Weltspitze
Die in Westum geborene Helten war als Leistungssportlerin eine Spätberufene. In ihrer Jugend war sie bei der DJK Andernach als Weitspringerin aktiv. Erst mit Anfang 20 wurde ihr Talent von Bundestrainer Wolfgang Thiele erkannt, der sie daraufhin nach Berlin holte und zur Sprinterin umfunktionierte. Damit hatte Helten eine Gemeinsamkeit mit Annegret Richter, ihrer Teamkollegin, Freundin und Rivalin. Beide Athletinnen waren Teil einer „goldenen Generation“ an deutschen Läuferinnen, die die Kurzstrecken in den 70er Jahren dominierten. Dazu zählte nicht nur die Westdeutsche Mannschaft, welche neben Richter und Helten auch Ingrid Mickel-Becker oder Annegret Kroninger aufzubieten hatte, sondern auch die Ostdeutschen Athletinnen, allen voran die dreifache Olympiasiegerin Renate Stecher. Im Kontext des kalten Krieges wurden die Duelle zwischen Ost und West politisch hochstilisiert. Auch das sogenannte „Staatsdoping“, bei dem DDR-Athleten teilweise ohne deren Wissen Dopingpräparate verabreicht wurden, war ein Teil dieser komplexen Ära.
Bundestrainer Thiele bescheinigte Helten herausragendes Talent, hielt es aber auch angebracht, die Westumerin zu provozieren, um die letzten Prozent aus ihr heraus zu kitzeln. Davon zeugt ein Spiegel-Artikel, in dem der Bundestrainer seine beiden Schützlinge Helten und Richter miteinander vergleicht und Heltens mangelnde Einstellung beklagte. Sie habe einerseits Beinmuskulatur wie ein „Fahrgestell eines Formel-1-Rennwagens“, sei aber nicht so zielstrebig wie Richter. Helten machten diese Sticheleien nichts aus. Vom Naturell war sie eine eher unbekümmerte Person, die trotz aller Strapazen Spaß an ihrem Sport hatte. Dies half ihr auch Rückschläge zu verdauen. Dazu gehörte ihre Verletzung vor den Olympischen Spielen 1972 in München. Nach dem Europameistertitel 1971 war ihr Platz in der Staffel eigentlich schon sicher, doch eine Fußverletzung stoppte ihre Ambitionen. So musste sie, ohne Groll zu hegen, auf der Tribüne zusehen wie ihre Kolleginnen Gold über die 4x100 Meter errangen. Um vier Jahre später in Toronto nochmals angreifen zu können, zog sie nach Dortmund, um sich täglich mit Teamkollegin Richter messen zu können.
Das große Ziel nur knapp verfehlt
1976 schien Helten nach ihrem Weltrekord in der perfekten Ausgangsposition, um selbst das begehrte Edelmetall erobern zu können. Doch die prägende Person dieser Spiele sollte Annegret Richter werden. Im Halbfinale des 100 Meter Rennen unterbot Richter Heltens Weltrekord um drei zehntel Sekunden, obwohl sie noch nicht einmal komplett durchgezogen hatte. Aber auch Inge Helten und Renate Stecher qualifizierten sich für das Finale. Im ersten Drittel des Rennens konnte Helten noch mit ihren Konkurrentinnen mithalten. Aber dann musste sie Richter ziehen lassen, die sich die Goldmedaille vor Stecher sicherte. In der 4x100 Meter Staffel waren die beiden deutschen Staffeln der DDR und der Bundesrepublik ebenfalls favorisiert. Die Westdeutsche Staffel um Helten und Richter war bis kurz vor dem Ziel noch vorne, verlor das Rennen aber auf den letzten Metern. Während sich Richter über die 200 Meter noch eine zweite Goldmedaille sicherte, ging Helten als fünfte leer aus. Ihre Leistung ist dennoch nicht zu unterschätzen und hat ihren Platz in der Sportgeschichte verdient. Nach dem frühen und enttäuschenden Ausscheiden der männlichen Sprintkollegen soll TV-Reporter Werner Zimmer festgestellt haben: „Inge Helten war scheller als die Männer.“
Nicht lange nach den olympischen Spielen beendete Inge Helten ihre Leistungssportkarriere. Grund waren die Verletzungsanfälligkeit sowie die Belastung von Training und Beruf. Das frühe Aus bereute sie im Nachhinein nicht. Annegret Richter versuchte noch mehrere Jahre ihren eigenen Weltrekord zu unterbieten und die Schallmauer von 11 Sekunden zu brechen. Dieser Meilenstein war jedoch der jungen DDR-Sprinterin Marlies Göhr vorbehalten, die in Montreal debütierte. 1977 stellte Göhr einen neuen Weltrekord von 10,88 Sekunden auf und beendete damit Richters Träume. Inge Helten ist nach dem Ende ihrer Karriere in Dortmund geblieben. Dort ist sie weiterhin aktiv, was vor allem ihren langen Spaziergängen mit ihrer Hündin zu verdanken ist. Mit ihrer alten Rivalin Annegret Richter hat Helten Kontakt gehalten. „Wir treffen uns noch regelmäßig zum Kaffee trinken und quatschen auch über alte Zeiten“, wird sie im Buch „Titel, Tränen und Triumphe“ zitiert.
Ein Gastbeitrag von Felix Schönbach
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